29. Oktober 2021

DiGA – Ja oder Nein? Fünf Überlegungen für Startups

Seitdem die Antragstellung zur Aufnahme in das Verzeichnis für Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) seit Ende Mai 2020 möglich ist, herrscht bei vielen Healthcare Startups Aufbruchsstimmung.

Gesetzliche Krankenkassen (GKVs) sind nun nämlich erstmals dazu verpflichtet, Patienten die Kosten für gewisse digitale Anwendungen zu erstatten. Der “fast track” in die Regelversorgung bietet insbesondere für junge Unternehmen eine Möglichkeit der frühen Umsatzgenerierung.

Fünf Fragen, die sich jedes Startup vor dem DiGA-Antrag stellen sollte

Eine Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis bedeutet, dass im besten Fall auf einen Schlag bis zu 73 Millionen Patienten ein erstattungsfähiges Produkt angeboten werden kann. Das kann für ein Startup definitiv einen enormen Boost darstellen. Jedoch ist damit nicht automatisch garantiert, dass eine DiGA-Listung auch Umsatz generieren wird.

Denn mit einer (vorläufigen) DiGA-Listung gehen auch große Aufgaben einher: Vertriebs- und Marketingaktivitäten müssen angekurbelt, ggf. weitere Validierungsstudien durchgeführt werden. Als Startup muss man sich bewusst sein, dass dies auch operativ und finanziell gestemmt werden muss. Wir haben deshalb fünf Fragen formuliert, die sich jede Gründerin und jeder Gründer stellen sollte, die einen DiGA-Antrag in Erwägung ziehen:

1) Können wir positive Versorgungseffekte nachweisen?

Um als DiGA gelistet zu werden, ist ein Nachweis positiver Versorgungseffekte notwendig, d.h. es muss ein hoher medizinischer Nutzen und/oder patientenrelevante Struktur- und Verfahrensverbesserungen nachgewiesen werden. Aber auch für die langfristige, nachhaltige Preisgestaltung spielt die Datenlage eine entscheidende Rolle. Im ersten Jahr nach Aufnahme können Unternehmen den Erstattungspreis für die jeweilige DiGA zwar in einem gewissen Rahmen selbst festlegen. Danach muss das Unternehmen allerdings mit dem GKV-Spitzenverband in Verhandlung um den Erstattungspreis für die DiGA treten. Hier gilt: Je größer die jeweiligen Versorgungseffekte, desto höher kann der entsprechende gerechtfertigte Erstattungspreis angesetzt werden bzw. desto besser kann dieser in den Verhandlungen mit den GKVs verteidigt werden.

2) Haben wir das Know-how für eine klinische Studie?

Positive Versorgungseffekte müssen dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf Basis klinischer Studien belegt werden. Und hierbei gibt es unzählige Stolpersteine, die man berücksichtigen muss. Denn das BfArM achtet bei seiner Beurteilung nicht nur ganz genau auf die Ergebnisse, sondern auch auf das Studiendesign: Welche Daten werden erfasst? Wie werden die Daten erfasst? Besteht Ergebnissicherheit oder ein risk of bias? Hierzu gesellen sich noch dutzende weiterer Fragen. Es muss also sichergestellt sein, dass die nötigen Kenntnisse über die Methodik zur Durchführung und Auswertung einer Studie nach wissenschaftlichen Kriterien innerhalb des Teams vorhanden sind oder man einen Partner an der Seite hat, der entsprechende Erfahrung mitbringt. Tipps hierzu hat das BfArM in seinem Leitfaden zusammengetragen.

3) Schaffen wir es, dass Ärzte unsere DiGA auch verschreiben?

Ist der Antrag bewilligt und die Anwendung als DiGA gelistet, muss dafür gesorgt werden, dass diese auch von Medizinern verschrieben wird. Um die DiGA an Ärzte heranzutragen, sind die notwendigen Vertriebsfähigkeiten im Team entscheidend. Denn wenn kein Arzt eine DiGA verschreibt, macht man als Hersteller auch keinen Umsatz. Im besten Fall sollte man sich darüber natürlich von Anfang an Gedanken machen und so früh wie möglich die Ansprache in die Wege leiten. Hierbei sind ein gutes Verständnis der klinischen bzw. ärztlichen Arbeitsabläufe und der Erstattungsmodalitäten der gesetzlichen Krankenkassen natürlich ein klarer Vorteil. Ekaterina Alipiev, Leiterin des Pfizer Healthcare Hub Berlin hat wertvolle Tipps für die Distributionsstrategie für DiGA-Hersteller zusammengefasst.

4) Kennen wir uns gut genug mit den Regularien aus?

Weiterhin ist es unerlässlich, dass ein Startup das nötige Know-how im Bereich ​​Regulatory Affairs mitbringt. Wer DiGAs entwickeln möchte, muss sich souverän durch den Antragsprozess arbeiten können um alle nötigen Auflagen und Bedingungen einzuhalten. Einen umfassenden Einblick, welche Regularien für die Zulassung einer DiGA beachtet werden müssen, findet ihr hier.

5) Und wenn der Antrag nicht klappt?

Letztendlich sollte man als Startup immer für den worst case gewappnet sein, nämlich dass der DiGA-Antrag abgelehnt wird. Ein Plan B ist (wie so oft) unabdingbar. Daher sollten Alternativen bestehen, auch ohne eine DiGA-Listung, etwa durch Selektiv-Verträge mit Versicherern oder Direktansprache von Selbstzahlern, ein funktionierendes Geschäftsmodell zu etablieren. Viele erfolgreiche Startups bauen deshalb ein ganzes Ökosystem um ihre DiGA herum auf. Neben der App kann beispielsweise ergänzende Medizintechnik an Krankenhäuser oder Patienten verkauft werden. Aber auch Kooperationen mit Therapeutenvereinigungen, Affiliate-Programme oder eben Einzelverträge mit ausgewählten Krankenkassen sind denkbare Modelle.

Wie geht es für DiGAs in Zukunft weiter?

Ob sich DiGAs langfristig als umsatztreibender Faktor etablieren werden, wird sich erst noch zeigen. Bisher (Stand Ende Oktober 2021) wurden 96 DiGA-Anträge gestellt. Davon haben es immerhin schon 24 Apps in die Listung geschafft, weitere 27 befinden sich zurzeit in der Prüfung.

Es stellt sich zudem die Frage, wie Patienten und Mediziner auf diese digitalen Produkte reagieren. Eine aktuelle Umfrage des Digitalverbands Bitkom unter Versicherten zeigt, dass DiGAs aktuell noch recht langsam angenommen werden. Erst 2% der befragten Teilnehmer haben sich bereits eine DiGA verschreiben lassen, 51% können es sich grundsätzlich vorstellen. Verschrieben wurden in den ersten 12 Monaten des DGV zudem lediglich rund 45.000 DiGA-Codes (Handelsblatt, Oktober 2021). Ob der Markt für DiGAs also (zumindest mittelfristig) lukrativ genug ist, sollte also niemals außer Acht gelassen werden.