Rating bei Start-ups: diese Knock-out-Kriterien sollten Gründer kennen
Mit dem sogenannten Rating bewerten Venture Capital-Geber sowohl potenzielle als auch bestehende Beteiligungen. Unser Gastautor Andreas van Bon, CFO bei bmp Ventures, erklärt die Besonderheiten von Start-up Ratings und welche Knock-out-Kriterien ihr als Gründer unbedingt kennen solltet.
Wenn man über Rating redet, kommen Begriffe und Schlagwörter wie „Moody’s“, „AAA“, „Konzerne“ und vielleicht auch „Blindfische“ und „taugt nichts“ vor. An Start-ups oder SMEs denken dabei eher wenige, nach meinem Gefühl übrigens auch nicht in unserer Branche. Das systematische Raten (vom englischen „to rate“, nicht zu verwechseln mit dem deutschen Verb „raten“) von Start-ups ist zumindest in Deutschland nicht besonders weit verbreitet, weil es viel zu wenig harte Fakten über das zu beurteilende Unternehmen gibt.
Selbstverständlich ratet jeder Venture Capitalist seine potenziellen und bestehenden Investments, auch wenn es manchmal nur aus dem Bauch heraus ist. „Läuft“ oder „läuft nicht“ ist ja teilweise auch eine Beurteilung, die im Auge des Betrachters liegt. Der Mitarbeiter aus der Controllingabteilung und der CMO haben vielleicht einen anderen Blick auf manche KPIs, bzw. stufen die Relevanz dieser unterschiedlich ein.
Unter Rating versteht man normalerweise die Einstufung der Bonität eines Wirtschaftssubjekts oder Finanzinstruments. Bei einem Start-up ist die Kreditwürdigkeit des Unternehmens oder die Ausfallsicherheit der Finanzinstrumente sicher nicht das Zentrum des Interesses. Daher unterscheidet sich das Rating von Start-ups substanziell vom Bonitätsrating gewachsener Unternehmen.
Ratings stellen die Grundlage des Risikomanagements dar. Zusätzlich beeinflussen sie die Höhe der „Risk-weighted Assets“ und damit auch die Risikosteuerung. Ratings sind für größere Unternehmen aus diversen Gründen nicht wegzudenken. Die Änderung eines Ratings hat Auswirkungen auf Kredite und deren Konditionen, Kreditversicherungen, Kursverläufe von Anleihen und Aktien, etc. Beim Bankrating wie auch dem von den Agenturen angebotenen externen Ratings werden mittels mathematisch-statistischer Verfahren Ausfallwahrscheinlichkeiten anhand von Ausfallsmerkmalen errechnet und in Ratingstufen eingeteilt, die mit Ratingcodes abgekürzt werden.
Mit den quantitativen und qualitativen Faktoren, die Banken und Ratingagenturen für ihre Beurteilung heranziehen, hat das Rating von Start-ups nichts gemein. Bei den qualitativen Faktoren sind die Unterschiede zwischen dem Start-up und einem Dax-Konzern schon gar nicht mehr so groß. Für unsere Portfoliounternehmen haben wir ein Ratingraster entwickelt, das unabhängig von der Unternehmensphase eingesetzt werden kann. Allerdings ändern sich die Gewichtungen im Laufe der Zeit, da einige Kriterien, die am Anfang einer Unternehmensentwicklung wichtig sind, später nicht mehr so gefragt sind und umgekehrt. Im Folgenden geht es um das Rating von Start-ups in der Seed oder Pre-Seed-Phase.
34% Management
Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich klar bekenne, dass das Management der wichtigste Faktor im Gesamtrating ist. Ein gutes Managementteam versteht es, Probleme früh zu erkennen, gegebenenfalls Weichen neu zu stellen und auf Erfordernisse zu reagieren. Die meisten unserer Investments schaffen auch den Businessplan nach unserem Haircut nicht. Der Negativrekord nach 250 Investments liegt bei -99%. Allerdings konnte das Managementteam mit Backing der Investoren das Unternehmen im zweiten Anlauf erfolgreich bis hin zum IPO entwickeln. Ob die Investoren das mitgemacht hätten, wenn das Rating bzw. die Einschätzung des Managements nur durchschnittlich gewesen wäre, darf bezweifelt werden.
Knock-out-Faktoren beim Rating:
- Große Lücken im Management in unternehmenskritischen Themen
- Beratungsresistenz der Gründer
22% Technologie / Produkt / Nachfrage / Markt
Zur Durchsetzung der Produkte am Markt ist mehr als die reine Größe des (potenziellen) Marktes relevant. Vielfach unterschätzt wird die Notwendigkeit einer hohen Qualität des Angebotes oder Produktes zusammen mit der technischen Realisierbarkeit. Kein Kunde möchte ungefragt der Betatester sein. Hier wird geratet, ob die technische Umsetzung im geplanten Zeit- und Kostenrahmen umsetzbar scheint und die notwendigen Ressourcen vorhanden oder beschaffbar sind. Ein großer Teil des Ratings hängt vom Vertrieb ab, wie groß ist das Risiko, dass aus der hoffnungsvollen Product Company doch ein Living Dead wird, der sich mit Projekten über Wasser hält. Die Beurteilung der branchenüblichen KPIs ist übrigens nicht Bestandteil des Ratings; dieser Schritt ist Teil der Due Diligence.
Wichtige Punkte des Ratings sind außerdem die zu erwartende Marktstellung, die eventuelle IP-Situation (die einen separaten Artikel wert wäre. Nur so viel dazu: die IP gehört ins Unternehmen) und Wettbewerber. Welche aktuellen oder potenziellen Wettbewerber sind am Markt, wer könnte als Second Mover oder Copycat folgen, wie groß ist der Vorsprung? Letztlich müssen auch Abhängigkeiten beurteilt werden, sowohl auf der Kunden als auch auf der Lieferantenseite.
Knock-out-Faktoren beim Rating:
- Zu hohe Wahrscheinlichkeit des Scheiterns in der Produktentwicklung
- One-trick-pony
- Marktgröße und -wachstum zu gering
12% Finanz- und Ertragslage
Bei Unternehmensgründungen und Seedfinanzierungen ist die Finanz- und Ertragslage von eher nachgelagerter Bedeutung. Dieses Ratingmerkmal gewinnt erst im Zeitverlauf immer mehr an Bedeutung. Was Investoren aber in allen Unternehmensphasen als nachteilig betrachten, sind bereits aufgehäufte Verbindlichkeiten, die planerisch mit der anstehenden Finanzierungsrunde getilgt werden. Besonders gern gesehen sind Gesellschafterdarlehen oder aufgelaufene Verbindlichkeiten z.B. aus Gehaltsansprüchen der Gründer, die jetzt bedient werden sollen.
Ein zweiter wichtiger Punkt ist die Vollständigkeit der Buchführung. Bei vielen Geschäftsmodellen ergibt sich durch Finanzierungsstruktur und geplante Verluste ein sehr spezielles Bilanzbild: „On the left side, nothing is right and on the right side, nothing is left“. Das Eigenkapital arbeitet sozusagen aktiv mit, das ist bei sehr jungen Unternehmen unproblematisch und kann auch im Rahmen der Finanzierungsrunde gefixt werden, mit zunehmender Unternehmensgröße und fortschreitendem Alter kann sich der Umstand der bilanziellen Überschuldung aber sehr nachteilig auf das Rating auswirken.
Knock-out-Faktoren beim Rating:
- Insolvenzantrag verpasst
- Buchhaltung unvollständig
14% Unternehmensorganisation
Angefangen von der Know-how-Verteilung im Unternehmen, Abhängigkeiten von einzelnen Personen, Technologien oder Lieferanten, die Liste der organisatorischen Faktoren ist lang. Neben solch elementaren Dingen sind es auch die Eindrücke aus den weicheren Faktoren, die hier ins Rating einfließen. Eine miserable Stimmung im Team, hoher Krankenstand und unübliche Fluktuationsraten sind genauso wichtig wie ein gewissenhafter Umgang mit Recht und Gesetz, wobei es hier auf die Geschäftsmodelle ankommt. Inverkehrbringer, Unternehmen mit QM-Zertifizierungen oder besonderen Vorschriften aus z.B. dem Umweltschutz sind anders zu beurteilen, als ein Agenturbusiness.
Knock-out-Faktoren beim Rating:
- Kein Freedom-to-Operate
- Vollständige Abhängigkeit von externen Faktoren
- Missachtung gesetzlicher Vorschriften
18% Exit
Zu guter Letzt fließt in unser Rating noch der perspektivische Exit ein. VCs versuchen bereits vor Beteiligungseingang zu überlegen, über welchen Kanal, mit welchen KPIs und welchem Multiple die Beteiligung wieder beendet werden kann. Selbstverständlich sehen auch die Beteiligungsverträge entsprechende Regelungen vor, allerdings ist die vertragliche Möglichkeit nicht immer deckungsgleich zur faktischen Durchführbarkeit.
In dieser Kategorie werden aber nicht nur die Gründer und ihre Einstellung zur Unternehmensentwicklung und zum Exit geratet, sondern auch eventuelle Co-Investoren, da nicht alle Investoren immer die gleichen inhaltlichen und zeitlichen Ziele haben. So kann z.B. eine End-of-Lifetime Situation im Fonds eines Co-Investors andere Sichtweisen mit sich bringen.
Knock-out-Faktoren beim Rating:
- Der Wille, eine Familiendynastie zu begründen
Rating im Zeitverlauf
Wir raten unsere Beteiligungen zu jedem Quartalsende, um die Entwicklung des Ratings auch im Zeitverlauf zu beobachten. Die Veränderung gibt zusätzlichen Aufschluss zu der Beteiligung und reflektiert gegebenenfalls auch den Erfolg des eigenen Business Developments, Veränderungen im Managementteam der Beteiligung, des Marktes, des Businessmodells, etc. und bietet damit eine weitere Datengrundlage zu Bewertung und Entscheidungsfindung in Folgerunden.
Quelle: www.fuer-gruender.de