2. August 2017

Zum Scheitern verurteilt? Warum 99% aller Start-ups kein Investment bekommen

Wer kennt sie nicht, die Erfolgsmeldungen über Start-ups, die sich Millionenfinanzierungen gesichert haben? Doch das ist nur die Spitze des Eisberges, wie uns VC-Analyst David Stuck verrät: Von den bis zu 1.000 Start-ups, die sich jährlich um ein VC-Investment bewerben, werden gerade mal 1% finanziert. Was mit den restlichen 99% passiert, wie man als Gründer mit Absagen umgehen sollte und welche Tipps David zur Verhandlung mit VC-Investoren hat, erfahrt ihr in diesem Gastbeitrag.

Ein klares Wort vorab: Hier geht nicht um die schillernden Themen der bunten Start-up-Welt, sondern um Investmentabsagen und Finanzierungsrunden, die erst im zweiten oder dritten Anlauf geschlossen werden konnten. Welches Start-up gibt das schon bereitwillig zu? Und welcher VC-Investor brüstet sich mit einem Investment in ein Start-up, dessen Entwicklung für ein Funding im ersten Anlauf nicht ausgereicht hat oder das bereits von anderen VCs (mehrfach) abgelehnt wurde? Dabei ist genau das kein Wunder, denn die Wahrscheinlichkeit eines VC Investments liegt bei unter 1%.

(Zehn-)tausende Start-ups kämpfen jedes Jahr um ein Investment bei den über 100 deutschen Venture Capital Gesellschaften. Ein (Frühphasen-)Investor tätigt in der Regel zwischen 10 bis 20 Investments pro Jahr und sieht dafür selten weniger als 1.000 Pitch Decks. Im Screening Prozess werden folglich 99% der möglichen Deals vom Investor aussortiert. Als Gründer im Fundraising kämpfst du immer gegen diese 99%!

Vor der Bewerbung: Profil prüfen

Der Investmentprozess ist bei den meisten VC-Firmen ähnlich. Im ersten Schritt werden die Ideen herausgefiltert, die nicht zum Profil der VC-Gesellschaft passen. Häufig haben Investoren fixe Parameter, die erfüllt werden müssen, wie z.B. bestimmte Branchen, Finanzierungsphasen (Ticketgrößen) oder Regionen. Andere investieren ausschließlich in B2B- oder B2C-Geschäftsmodelle, SaaS (Software as a Service), Markplätze etc. Eine solche Absage ist keine Aussage über die Qualität des Start-ups (die wurde zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal geprüft). Deshalb solltet ihr euch auch weiterhin selbstbewusst bei einem (passenden) Investor „bewerben“ – wobei das Wort bewerben nicht mehr passend ist, da heutzutage auch VC-Firmen um gute Start-ups konkurrieren. Folglich landen bereits abgesagte Start-ups als neuer Deal bei einem zweiten, dritten oder vierten Investor, ohne dass ihre Qualität zwangsweise schlecht ist.

Tipp: Besser im Vorfeld über die fixen Kriterien eines Investors informieren und diese Art der Absage ganz einfach vermeiden. In der Regel finden sich die relevanten Infos auf der Internetseite des jeweiligen Investors. Denn auch wenn diese Art der Absage nicht inhaltlich begründet ist, solltet ihr eure Motivation nicht zu sehr strapazieren.

Hat der Investor konkrete Fragen zum Pitch (Deck) oder lädt direkt zu einem Telefontermin ein, ist das Start-up eine Runde weiter. Spätestens jetzt geht es um Inhalte: Geschäftsmodell, Strategie, Technologie, Markt, Traktion, Team und Finanzierungsrunde.

Durch jahrelange Expertise, ein weitreichendes Netzwerk und einen breiten Marktüberblick kann sich das Investment-Team der VC-Gesellschaft schnell mit den „Crucial Points“ eines Start-ups auseinandersetzen und kommt zu einer ersten Einschätzung. Ist diese überwiegend positiv, geht es in die nächste Runde: ein persönliches Meeting zwischen Start-up und Investor.

Wesentlich häufiger – nämlich in 85% der Fälle – kommt es an dieser Stelle allerdings zu einer Absage! Allerdings gibt es hierfür verschiedene Gründe.

Eindeutige Absagen: Nein heißt nein

Bei 90% der abgesagten Start-ups haben einer oder mehrere Punkte nicht gepasst: Investment Case zu kleinteilig, Markt zu klein, Geschäftsmodell nicht passend, Zweifel am Team, Produkt nicht überzeugend.

Tipp: Nein heißt nein – das gilt auch in der Start-up-VC-Beziehung. Vermeidet eine unnötige Belehrung des VCs, denn dieser hat seine Entscheidung lange und ausführlich durchdacht. Die Start-up Szene in Deutschland ist verhältnismäßig klein und VCs gut vernetzt, deshalb gilt: First Impressions Count, but Last Impressions Count More.

Wenn ihr von mehreren Investoren immer wieder das gleiche Feedback und die gleichen Absagegründe bekommt, solltet ihr (irgendwann) eure Schlüsse ziehen. Verschwendet als gute Entrepreneure keine Zeit und keine Energie mit Diskussionen zu Kritikpunkten von VCs, sondern validiert euer Geschäftsmodell!

Eine zweite Chance für Start-ups auf der „Watchlist“

Wesentlich seltener – bei nur 10% der Absagen – wird die Performance des Start-ups als ganz „okay“ wahrgenommen. Der Investor entscheidet sich aber dafür, dass der Case erst einmal nicht priorisiert werden soll. Diese Start-ups werden auf eine „Watchlist“ gesetzt. Sie haben bei dem VC weiterhin die Chance auf ein Investment und erhalten „Hausaufgaben“, die vor einer tiefergehenden Prüfung des Investors erledigt werden müssen. Diese unterscheiden sich je nach Geschäftsmodell, auch vom Umfang her.

Nachfolgend einige Beispiele:

  • Markt muss überdacht werden (z.B. zu klein) – Vertical/Anwendungsfall geändert werden – Market entry strategy adjustieren –
  • Konkurrenzanalyse erstellen
  • Sales Pipeline überarbeiten/abbilden – Leads kostengünstig(er) bündeln
  • Marketing Channels identifizieren und mit Budgets antesten
  • Qualifizierte Letters of Intent (LOIs) erwirken
  • Produkt fertigstellen – Prototypen vorweisen – Betakunden onboarden
  • Relevante Key Performance Indicators (KPIs) identifizieren und aufbauen – Pricing validieren/anpassen
  • Metriken aufsetzen: CAC, CLV, Gross Margin- Finanzplanung überarbeiten – Conversion Rate optimieren
  • Team stärken: Co-Founder finden – Mitarbeiter ergänzen – Mitarbeiterbeteiligung einführen
  • Tech-Kompetenz ins Team holen
  • Cap Table strukturieren/aufräumen – Bewertungsvorstellung rechtfertigen
  • Und ganz häufig: mehr Traktion aufbauen und einen Proof-of-concept zeigen

Start-ups sollten im Austausch mit dem VC klar signalisiert bekommen, ob es sich um eine eindeutige Absage oder ein Parken auf der „Watchlist“ handelt. Auch wenn Absagen keinen Spaß machen: VCs haben immer ihre Gründe und analysieren viel, bevor sie einen Case absagen. Professionelle Investoren sagen den anfragenden Start-ups übrigens nicht erst auf Nachfrage ab, sondern verschicken ihre Absagen proaktiv und auf Augenhöhe.

Zurück zur „Watchlist“: ein VC-Investment in ein Start-up setzt gegenseitiges Vertrauen voraus. Das Vorgehen mit der „Watchlist“ dient dazu, dieses Vertrauen aufzubauen.

Ziel des Gründers ist es jetzt, den Investor zum Super-Fan des eigenen Start-ups zu machen. Mit den Hausaufgaben sollten deshalb regelmäßige persönlich adressierte Updates und Statusmitteilungen einhergehen, um den Investor an der Unternehmensentwicklung teilhaben zu lassen und in Erinnerung zu bleiben.

VCs beobachten die Entwicklung und schätzen das richtige Timing für ein Investment ab. Solange Gründer keine eindeutige Absage erhalten haben, haben sie die Chance zu überzeugen und einen Schritt in Richtung Investment weiter zu kommen.

Als nächster Schritt folgt eine Einladung zum persönlichen Meeting. Hier gilt: „The stage is yours“, denn jetzt steigen auch die Partner der VC-Gesellschaft ein und alle beschäftigen sich intensiv mit dem Investment Case. Spätestens jetzt wird auch gezielt nach „dramatischen“ Fehlern, sogenannten Redflags und Dealbreakern gesucht. In dem Meeting geht es nach der ersten Beurteilung der „harten Fakten“ auch erstmals um die Persönlichkeit der Entrepreneure – einer der häufigsten Absagegründe, auch wenn darüber (natürlich) keiner offen spricht und dieser Grund nur indirekt mitgeteilt wird.

Zweifelt ein einzelner VC daran, dass sein Investment bis zur Erreichung eines wichtigen Meilensteins oder bis zur Profitabilität des Start-ups alleine ausreicht und kann ein notwendiger Co-Investor für den Investment Case aktuell nicht einfach gefunden werden, kommt es an dieser Stelle ebenfalls häufig zu einer Absage. Start-ups sollten dann Startgeld durch Business Angels einsammeln oder direkt mehrere VCs gemeinsam an einen Tisch bekommen.

Wurden alle offenen Punkte besprochen und haben beide Parteien weiterhin ein gutes Gefühl, schließen sich Term Sheet Verhandlung und Due Diligence an. Auch in diesen Phasen muss der VC dem Start-up vertrauen.

Nur wenn der Investor überzeugt ist, dass ihr in der Lage seid, ein stark wachsendes und nachhaltig profitables Unternehmen aufzubauen, das besser als 99% aller anderen Teams performt, wird er in euch investieren!

Ganz abgesehen davon, dass der Investor selbstverständlich einen Exit anstrebt und sein Investment in euer Start-up verdoppelt oder besser verzwanzigfacht sehen möchte. Je weiter der Investmentprozess fortschreitet, desto konkreteres Feedback kann ein Start-up erwarten. Wertvolles Wissen für den weiteren Unternehmensaufbau!

Nicht vergessen: Erst wenn die Tinte auf der notariellen Beurkundung der Kapitalerhöhung getrocknet ist, gehört auch ihr zu den 1% der Start-ups, die sich VC-Kapital gesichert haben.