Digitales Business braucht digitale Souveränität
Christian Theune, Gründer und Geschäftsführer des Flying Circus, erklärt, warum Ihr beim Aufbau eures digital-fokussierten Unternehmens auf eure digitale Souveränität achten solltet.

Wenn über digitale Souveränität gesprochen wird, geht es häufig um politische und gesellschaftliche Perspektiven mit großer Tragweite: Sind unser Bundestag und unsere Verwaltungen zu abhängig von Microsoft? (Ja!) Haben wir die Hoheit über unsere Daten – oder darf jeder Aspekt unseres Lebens von anderen monetarisiert werden? Dürfen wir Dinge, die wir gekauft haben, nach eigenem Gusto benutzen und reparieren? Ist unsere digitale Infrastruktur ausreichend geschützt?
All diese Fragen scheinen so groß und vielleicht auch akademisch – doch trotzdem gibt es ganz praktische Auswirkungen, die du beim Aufbau deines Unternehmens berücksichtigen solltest.
Unternehmerischer Schwerpunkt: Handlungsfähigkeit
(Nicht nur) als Unternehmer ist es wichtig, dass wir in der Lage sind neue Ideen umzusetzen und auf schnell auf neue Einflüsse zu reagieren – das nennen wir Handlungsfähigkeit. Das ist keine neue Anforderung, die erst durch Digitalisierung entstanden ist, aber die in den letzten Jahren eine neue Dimension gewonnen hat.
Im Kern geht es dabei darum, dass wir in einer komplexen Welt von Dienstleistungen und Produkten anderer abhängig sind. Das ist an und für sich nichts schlechtes, sondern Ausdruck einer differenzierten Wirtschaft mit Arbeitsteilung.
Gleichzeitig macht sich aber im digitalen Raum eine Art Feudalismus breit, bei der dieses komplexe Netz dazu verwendet wird Abhängigkeiten bewusst herzustellen, um den Wechsel zwischen Anbietern zu unterbinden und beliebige Lizenzbedingungen und Preisvorstellungen aufzurufen.
In Fällen wie beim Kauf der VMware durch Broadcom wurden von einem Tag auf den anderen Lizenzmodelle durch Subskriptionen ausgetauscht und kurzfristige Preisänderungen – gerade auch bei Großkunden wie AT&T – von über 1.000% durchgesetzt. Broadcom handelt hier bewusst gegen die Interessen der eigenen Kunden und fokussiert sich auf eine zeitlich befristete Gewinnmaximierung indem eine überschaubare Anzahl von Kunden abgezockt wird.
In anderen Fällen geben wir die Daten unserer Unternehmen nach außen und können nicht darauf vertrauen, was mit diesen Daten passiert. Leider ist die Erkenntnis inzwischen, dass selbst bei Diensten für Geschäftskunden und während man für eine Dienstleistung zahlt, die zweckgebundene Verarbeitung der Daten im eigenen Auftrag nicht gesichert ist: nach dem Kauf von Github durch Microsoft wurde schnell klar, dass aller Code – und eben insbesondere auch aus privaten Archiven zahlender Kunden – zum Training von Copilot genutzt wird und Wettbewerber dadurch in der Lage sind Code zu generieren, der offensichtlichen Bezug zu geheimen Code der zahlenden Kunden hat.
Handle stets so, dass die Anzahl der Wahlmöglichkeiten größer wird!
Heinz von Förster, ca. 1973
Handlungsfähigkeit herstellen – der ethische Imperativ und kleinteiliges Vorgehen
Bei der großen Vielzahl an digitalen Werkzeugen, die beim Aufbau der eigenen Produkte, Dienstleistungen und des Unternehmens eine Rolle spielen kann man schnell den Überblick verlieren. Niemand weiß welcher Anbieter mich morgen vielleicht in eine unangenehme Situation bringen kann. Klar ist: wir können nicht alles selbst machen aber wir sollten uns auch nicht vollständig anderen ausliefern.
Für mich dient hier im Alltag der ethische Imperativ und die Erkenntnis, dass es nicht eine große Lösung für alle Probleme gibt. Der ethische Imperativ sagt, dass wir bei der Bewertung der möglichen Optionen für eine Entscheidung, der Lösung den Vorzug geben sollten, mit der wir uns möglichst viele weitere Optionen für die Zukunft schaffen. Klar ist: das ist nicht immer billig, denn Optionalitäten haben Kosten. Aber man sollte zumindest im Blick behalten, ob mich eine Entscheidung in der Zukunft einschränkt oder mir mehr Spielraum verschafft.
Auf der anderen Seite muss ich nicht (und sollte ich auch nicht) die ganze Entwicklung des Unternehmens auf eine Karte setzen: statt einer großen schwerwiegenden Entscheidung ist ein kleinteiliges Vorgehen in dem ich mich je nach Situation mal in die eine oder andere Richtung entscheiden kann langfristig robuster.

Optionen schaffen – durch Open Source
Ein ganz klarer Punkt mit dem wir entscheiden können ob wir mehr oder weniger Optionen in der Zukunft haben ist die Verwendung von Open Source. Mit Open Source habe ich die meisten Freiheiten und eine kategorisch andere Beziehung zu dem eingesetzten Werkzeug als beispielsweise bei einer SaaS-Lösung. Eigentlich sind die Handlungsmöglichkeiten mit Open Source sogar unbegrenzt: statt zwischen der Wahl zwischen zwei Produkten habe ich immer auch die Möglichkeit – wenn es strategisch oder taktisch sinnvoll
ist – mich selbst einzubringen und das Werkzeug nach dem eigenen Bedarf anzupassen oder weiterzuentwickeln. Und ökonomisch kann das ganze auch sein, wenn man entsprechende Kooperationen aufbaut.
Muss ich deshalb dogmatisch immer Open-Source einsetzen? Natürlich nicht. Aber: zu wissen wann mir Open Source Vorteile bringt und im richtigen Moment „zuzuschlagen“ macht uns um ein vielfaches handlungsfähiger.
Schlagkraft erhöhen – Kompetenzen aufbauen
Als zweiter Baustein um die eigene digitale Souveränität zu erhöhen steht für mich die Entwicklung von Kompetenzen im Vordergrund: um wegzukommen von einer reinen Hersteller/Nutzer-Beziehung brauchen wir im Unternehmen eine Haltung, dass Informatik eine eigentlich sehr zugängliche und durchlässige Disziplin ist. Auf der einen Seite ist klar, dass nicht jeder im Team programmieren können soll. Aber ein Grundverständnis wie die digitale Welt funktioniert und was grundsätzlich möglich ist hilft auch dabei Lösungen zu bewerten und selbst kreativ zu denken. Gerade die häufig sich selbst geringe schätzende Trennung zwischen Nicht-ITlern und ITlern halte ich dabei für fatal.